Aktuelle Untersuchungen unter Kindern und Jugendlichen weisen immer deutlicher und dringlicher darauf hin, dass nur noch wenige Schüler:innen in Deutschland konkretes Wissen über den Nationalsozialismus und Holocaust haben. Die MEMO Deutschland – Jugendstudie 2023, die die Universität Bielefeld in zwei Befragungsrunden im September und Oktober 2021 sowie September 2022 online mit rund 3500 jungen Teilnehmer:innen zwischen 16 und 25 Jahren durchgeführt hat und die von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) gefördert wurde, kommt zu dem Ergebnis, dass jeder zweite Jugendliche den Zeitraum der nationalsozialistischen Herrschaft nicht kennt. Die Studie fragt danach, wie, was und auf welchen Wegen junge Menschen in Deutschland an den Nationalsozialismus erinnern und wie sie Diskriminierung und Erinnerungskultur heute wahrnehmen. Im Hinblick auf das konkrete Wissen über die Geschichte des Nationalsozialismus, etwa über die Opfergruppen, ergeben sich sehr unterschiedliche Befunde: "Das Wissen um die Opfergruppen des Nationalsozialismus hängt systematisch mit dem Bildungshintergrund der Befragten und ihrer bisherigen Auseinandersetzung mit dem Thema Nationalsozialismus zusammen. Je niedriger der Bildungsabschluss der Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist und je weniger intensiv sie sich bisher mit der NS-Geschichte befasst haben, desto weniger Opfergruppen des Nationalsozialismus können sie offen benennen" (S. 36). Trotz großer Defizite beim Faktenwissen isti der Nationalsozialismus weiterhin zentraler Referenzpunkt in der Erinnerungskultur, so der Befund. Rund drei Viertel der 16-25-Jährigen stellen den Sinn der Auseinandersetzung nicht infrage. Rund 75 Prozent der befragten Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist es wichtig, Faktenwissen zu lernen. Etwa die Hälfte möchte historische Orte besuchen können und Bezüge zwischen Vergangenheit und Gegenwart herstellen. Zur MEMO Deutschland – Jugendstudie 2023 gelangen Sie hier.
Die Erkenntnisse dieser neuen Studie bestätigen die Forderung der Interessenvertretung der Deutschlehrer:innen in Deutschland, des Fachverband Deutsch im Deutschen Germanistenverband. Er fordert in seiner „Paderborner Erklärung“ (https://fachverband-deutsch.de/wp-content/uploads/2022/12/FV-Bundesvorstand_Paderborner-Erklaerung-2022.pdf) vom Dezember 2022, dass nicht zuletzt als Reaktion auf den Wegfall der Zeitzeugengeneration und aufgrund der besorgniserregenden ansteigenden antisemitischen Gewalt zukünftig die Holocaustliteratur eine deutlich stärkere Rolle in der schulischen Erinnerungsarbeit spielen müsse. Besonders das Kernfach Deutsch sei dazu geeignet, mithilfe literarischer Texte und anderer medialer Formen einen anderen Zugang zu den historischen Ereignissen zu eröffnen. Die Erklärung, die von führenden Deutschdidaktikern mitgetragen und von der Arbeitsstelle Holocaustliteratur wesentlich mitinitiiert worden ist, finden Sie im Wortlaut hier.