am Institut für Germanistik der Justus-Liebig-Universität Gießen

Ernst-Ludwig Chambré

Ernst-Ludwig Chambré
Ernst-Ludwig Chambré

Ernst-Ludwig Chambré wurde am 4. November 1909 in Lich geboren. Er stammte aus einer jüdischen Familie, die seit dem achtzehnten Jahrhundert in Lich ansässig war. Urgroßvater Löb Chambré kam 1781 in Lich zur Welt. Großvater Karl erwarb im Jahr 1872 das Anwesen in der Unterstadt 7 und gründete ein Manufakturwaren- und Bankgeschäft, das 1919 von Ernsts Vater, Max Chambré, übernommen und weitergeführt wurde. Auch seine Mutter, Emilie Chambré, die aus Gedern kam, war an der Führung der Geschäfte beteiligt.

Ernst hatte eine 1907 geborene ältere Schwester, Henriette, 1918 wurde seine jüngere Schwester Anne-Marie geboren. Er besuchte die Volksschule in Lich und bestand 1929 das Abitur am renommierten humanistischen Gymnasium in Gießen. Anschließend studierte er Jura in Gießen, Frankfurt und Berlin.


Bereits in den zwanziger Jahren gehörten Max und Ernst Chambré dem sozialdemokratischen „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“ an und versuchten, gegen den erstarkenden Antisemitismus der Nationalsozialisten anzugehen. Dadurch wurde die Familie Chambré zur ‚besonderen‘ Zielscheibe nationalsozialistischer Agitation. Nur eine Woche nach der Reichstagswahl vom 5. März 1933 verübte die Licher SA einen wilden Pogrom gegen die in Ober- und Unterstadt lebenden jüdischen Familien. Jüdische Kaufleute wurden in das berüchtigte SA-Lokal „Frankfurter Hof“ geschleppt und dort misshandelt, sie sollten ‚Rechnungen quittieren‘. Besonders schwer traf es Max Chambré: SA-Männer zertrümmerten ihm beide Kniescheiben und fügten ihm schwerste Kopfverletzungen zu, von denen er sich nie erholte. Auch die Geschäftsbücher der Bank wurden gestohlen. Ernst Chambré hielt sich in dieser Nacht in Gießen auf, wo er am nächsten Tag sein Examen ablegte. Noch am Morgen erreichte ihn die Nachricht von dem Pogrom, verbunden mit der Warnung, nicht nach Lich zu kommen, da er dort aufgehängt werden würde. Ernst Chambré flüchtete daraufhin nach Belgien.

Auch die Familie blieb nicht in Lich. Sobald Max Chambré transportfähig war, floh die Familie zunächst nach Kassel, dann zu Tochter Henriette, die seit 1930 verheiratet war und in Berlin lebte. Von dort aus gingen Emilie, Max und Anne-Marie Chambré nach Belgien. Zusammen mit Ernst lebten sie in Morlanwelz. Aus der Ferne mussten sie jedoch hilflos mitansehen, wie ihr Licher Vermögen in einem dubiosen Konkursverfahren verschleudert wurde. Schließlich floh auch Henriette nach dem Novemberpogrom 1938 mit ihrem Mann und den beiden Töchtern nach Belgien. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht im Jahr 1940 konnte Ernst nach Frankreich entkommen. Dort wurde er interniert, konnte jedoch fliehen und erreichte Spanien. Auch aus der dortigen Internierung entkam er und konnte im Februar 1944 mit einem Passierschein von Madrid nach Haifa ausreisen. In Palästina erhielt Ernst Chambré im Juni 1946 die dortige Staatsangehörigkeit. 1947 wanderte er gemeinsam mit seiner Ehefrau – er hatte zwischenzeitlich geheiratet – in die USA aus.

1948 erhielt er Gewissheit über das Schicksal seiner Familie: Max, Emilie und Anne-Marie Chambré waren 1942 ebenso wie Henriette und ihre beiden Töchter nach Auschwitz-Birkenau deportiert und dort ermordet worden. Ab 1951 versuchte Ernst-Ludwig Chambré vergeblich, Wiedergutmachungsleistungen für das Licher Vermögen seiner Eltern zu erhalten. Er starb am 20. Juni 1996.


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