am Institut für Germanistik der Justus-Liebig-Universität Gießen

Kongress zu Vergewaltigungen als Kriegsverbrechen in Berlin

30.06.2017

29. Juni 2017

 
Auf Initiative der jesidischen Journalistin Düzen Tekkal, Gründerin und Vorsitzende des Vereins HAWAR.help e.V., fand am 29. Juni gemeinsam mit der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag die Konferenz "Vergewaltigung ist eine Kriegswaffe. Schweigen beenden, Überlebende stark machen" in Berlin statt. Für die Arbeitsstelle Holocaustliteratur hat Markus Roth teilgenommen.

Nach einer kurzen Eröffnung durch Volker Kauder, den Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, sprach die UN-Sonderbeauftragte für sexuelle Gewalt in Konflikten Pramila Patten die Keynote. Sie unterstrich die besondere Herausforderung, sich um die Opfer sexueller Gewalt zu kümmern, denen Gehör verschafft werden müsste. Zudem mahnte sie an, Täter entschlossener zu verfolgen und ihre Gewalttaten nicht ungesühnt zu lassen. Beides müsse stärker als bislang in den Fokus der Politik rücken.
Düzen Tekkal griff dies in ihrer eindringlichen Einleitung zum ersten Panel auf und betonte, dass es ein erster wichtiger Schritt sei, den Opfern zuzuhören, ihr Leid zu thematisieren, denn, so Tekkal, "Reden heißt helfen".
 
Am ersten Gesprächsblock der Veranstaltung nahmen zum einen betroffene Frauen wie die Jesidin Salwa Rasho oder Nusreta Sivac aus Bosnien teil und berichteten von ihren leidvollen Erfahrungen mit sexueller Gewalt, deren Folgen sowie dem schwierigen "Weg zurück ins Leben" nachdem, wie Salwa Rasho es nannte, die "Lebensflamme erloschen" ist. Bei aller Bedeutung, die Reden habe, sagte Rasho, müssten dem auch sichtbare Taten folgen.
An der Gesprächsrunde nahm auch Ruth Barnett teil, die kurz vor dem Zweiten Weltkrieg noch mit einem Kindertransport nach Großbritannien entkommen konnte. Ihr Bericht ist 2016 in der Schriftenreihe der Arbeitsstelle Holocaustliteratur erschienen. Ruth Barnett, die als Psychotherapeutin auch mit Opfern sexueller Gewalt gearbeitet hat, betonte die langfristig toxische Wirkung des Schweigens, das die traumatisierende Wirkung der Gewalterfahrungen verlängere und mitunter in die nächste Generation verlängere. Sie sieht im Vergleich zur Aufarbeitung des Holocaust einen Fortschritt darin, dass Frauen heute oft sehr viel früher in der Lage sind, über ihre Erlebnisse zu sprechen, und dass sie dabei mehr Gehör finden.
Die Autorin Freya Klier ergänzte die Runde um Eindrücke und Informationen, die aus sie aus vielen Gesprächen gewonnen hat, die sie mit Frauen geführt hat, die in der Kriegsendphase 1944/45 und in den ersten Nachkriegsmonaten Opfer sexueller Gewalt geworden sind.

Die Diskussionsrunde beschäftigte sich anschließend vor allem mit der Frage der Gerechtigkeit. Zum einen ging es dabei um die Ahndung solcher Verbrechen. Die Bilanz der justitiellen Ahndung jedoch ist niederschmetternd, so dass Vergewaltigung bis heute als ein weitgehend strafloses Massenverbrechen angesehen werden kann. Die Frage, was Gerechtigkeit für die tief traumatisierten Frauen bedeuten kann, musste offen bleiben. In eindringlichen Worten griff Bianca Jagger die Frage der Gerechtigkeit auf. Sie vertrat die Ansicht, dass hier erst sehr wenig erreicht wurde angesichts des globalen Ausmaßes sexueller Gewalt, das sie anhand von Einzelbeispielen und einem faktengesättigten Überblick plastisch werden ließ.
 
Der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Gerd Müller führte die Veranstaltung auf ihren Ausgangspunkt zurück, indem er von seinen persönlichen Eindrücken und Begegnungen mit weiblichen Opfern sexueller Gewalt auf einer Reise im Nord-Irak berichtete. Bundeskanzlerin Angela Merkel hob hervor, wie wichtig es sei, sexuelle Gewalt zu thematisieren, denn sie "berührt die Würde des Menschen und deshalb geht sie alle an". Daher sei es wichtig, die Täter zur Verantwortung zu ziehen, indem das Völkerrecht durchgesetzt würde. Den Beitrag, den Politik hier leisten kann, skizzierte sie in ihren Ausführungen und nannte beispielsweise die Stützung der Arbeit der internationalen Gerichtshöfe.
 
Die letzte Gesprächsrunde bündelte diese Themen noch einmal und konzentrierte sich vor allem auf die Arbeit der Justiz sowie auf die traumatischen Folgen für die Opfer und deren mögliche Überwindung. Darüber sprachen Bertram Schmitt, der Richter am internationalen Strafgerichtshof in Den Haag ist, sowie Jan Ilhan-Kizilhan, der als Psychologe traumatisierte Opfer des sogenannten Islamischen Staates betreut, mit Düzen Tekkal und Michal Brand, dem Vorsitzenden der Arbeitsgruppe Menschenrechte und humanitäre Hilfe der CDU/CSU-Fraktion.

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